IdS empfiehlt


3. Boxerbiografien


  • Der Boxprinz - Norbert Grupe Dokumentarfilm D 2002
  • Eckhard Dagge "Es sind schon viele Weltmeister Alkoholiker geworden ..." Biographie von Wolfgang Weggen
  • Schmeling. 1905 - 2005. Die Karriere eines Jahrhundertdeutschen. Biographie von Martin Krauß
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    "Der Boxprinz".
    Dokumentarfilm von Gerd Kroske. Deutschland 2002.


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    Ein schöner Mann war er nicht, aber er war groß und er konnte boxen. Die letzten beiden Eigenschaften fallen seinen früheren Weggefährten ein, wenn sie sich an den Boxer Norbert Grupe erinnern, von dem der Dokumentarfilm "Der Boxprinz" handelt. Sie erinnern sich, dass es ein gutes Gefühl war, wenn Grupe dabei war. Man bekam dann kaum Ärger mit anderen Leuten, die auf dem Hamburger Kiez unterwegs waren und ein bisschen Action wollten. Man bekam höchstens Ärger mit Grupe selber. Dieser hatte sich den Kampfnamen "Prinz von Homburg" gegeben, und wenn er nicht gerade im Ring "herummuste", wie er es selbst nannte, dann schlenderte er gerne mit Maßanzug und dicker Zigarre über die Reeperbahn und ließ sich von den Huren bewundern und von den Zuhältern beneiden.

    Für seinen Film hat sich der Hamburger Dokumentarfilmer Gerd Kroske tief in dieses Milieu begeben. In das, was davon übrig geblieben ist. Eine Sequenz aus dem Film ist legendär geworden. Der Hamburger Zuhälter Stefan Hentschel, der 1973 einen einzigen Profikampf bestritt und sich 2006 das Leben nahm, federt mit Schwung über die Große Freiheit in St. Pauli und erzählt von den guten alten Zeiten. Ein Mann, in Trainingshose und wahrscheinlich vom Balkan stammend, steht entfernt am Straßenrand und betrachtet die Szene. "He, Alter, hast du `n Problem?" bellt Hentschel und drischt ihm im Vorbeigehen ansatzlos die Faust ins Gesicht, während er weiter in die Kamera redet. Der schmächtige Mann fällt aus dem Bild, Hentschel schmeißt ihm noch ein "Geh weiter!" hinterher. Nur ein wenig missgestimmt spaziert er weiter und erzählt, dass es hier keinen Spaß mehr macht, seit diese Leute das Geschäft übernommen haben und plötzlich immer gleich Messer und Waffen im Spiel sind. Auch im Kiez hat die Globalisierung zugeschlagen.

    In seinen Schauplätzen pendelt "Der Boxprinz" zwischen Hollywood, wo Grupe bis zu seinem Tod 2004 lebte, und dem Hamburg der Sechzigerjahre, wo er seine große Zeit erlebte. In seinen letzten Jahren in Amerika versuchte Grupe durch kleine Rollen in zweitklassigen Filmen ein Auskommen zu finden. Aber während des ganzen Films sitzt der Prinz von Homburg merkwürdig am Rand seines eigenen Films. Reglos wie ein Reptil lässt er manchmal einen trockenen Witz durch seinen derben Hamburger Slang durchscheinen. Aber nie wird ein Pulsschlag des Mannes spürbar, der zu den beliebtesten Boxern seiner Jahre zählte. Man erfährt auch kaum etwas aus seinem Leben. In den Fünfzigerjahren ging er mit seinem Vater schon einmal nach Hollywood. Dort traten die beiden als Catcher unter dem Namen "The Vikings" auf, mit selbstgebastelten Helmen, auf die sie Kuhhörner geklebt hatten.

    1964 kam Norbert Grupe zurück nach Deutschland. Zwei Jahre zuvor hatte er in den USA seinen ersten Kampf als Profiboxer bestritten. Bis zum Ende seiner Karriere im Dezember 1970 ging das Schwergewicht durch 46 Kämpfe, 29 davon gewann er. Grupe war ein Schlitzohr und kämpfte mit Wucht und Wut. Nichts an ihm war kampfmaschinenhaft perfekt und besonnen wie bei den heutigen Stars. Grupe war immer ein Großmaul, der auch im Ring Mätzchen machte. Dafür hassten ihn viele. Wohl aber niemand so sehr wie der damalige ZDF-Sportjournalist Rainer Günzler. Er hatte Grupe 1969 in einer ebenfalls legendär gewordenen Live-Sendung des Aktuellen Sportstudios mit Fragen nach seiner Niederlage gegen Oscar Bonavena provoziert. In diesem Kampf war der Prinz fünfmal "an Deck". Im Interview am Tag danach antwortet er auf keine einzige von Günzlers Fragen und grinst den Journalisten vor laufender Kamera bloß schweigend und gnadenlos an.

    Ein großer Verdienst des Regisseurs ist es, dass er seine Nebenfiguren ausgiebig zu Wort kommen und die untergegangene Welt schildern lässt, in der kantige Charakter wie Grupe die Boulevardpresse und die Sehnsüchte der braveren Bürger beflügeln konnte. Eine Welt, in der eine Freundschaft immer auch einen Nutzen haben musste. Wir lernen einen manischer Ex-Zuhälter und Pornokinobesitzer kennen, der die Verderbtheit der Dominas und ihrer Kunden heute in naiven Farbstiftzeichnungen festhält. Grupes Freundschaft bedeutete ihm viel, weil er dann keinen Türsteher mehr brauchte. Wir sehen eine zarte, traurige Ex-Freundin, die als junges Mädchen in den Bann der bösen Jungs geriet und zu lange nicht merkte, dass es auch Nachteile hat, dass diese alle so viel größer waren als sie. Der Bodenständigste von allen ist ein Hell`s Angel, in dessen Umkreis Grupe nach dem Ende seiner Karriere herumzog und schließlich wegen Drogengeschäften für insgesamt fünf Jahre ins Gefängnis musste.

    In den Jahren nach dem Sport ist dem Prinz von Homburg das Fiebrige und Quecksilbrige abhanden gekommen. In "Der Boxprinz" begegnen wir einem gealterten, erstarrten Mann mit vernuschelter Sprache, an dem bloß noch der Blick gefährlich ist. In einer Sequenz sitzt er vor dem Fernseher und schaut sich, beobachtet von der Kamera, noch einmal seinen Kampf von 1966 gegen Piero del Papa an. Wenigstens einmal kommt so etwas wie eine Gefühlsregung auf, als er erklärt, wie er als Deutscher vom französischen Ringrichter disqualifiziert worden ist, seiner Meinung nach zu Unrecht. Damit war der Traum vom Europameistertitel geplatzt. Um die Ehre ging es ihm dabei ohnehin nicht. Aber der Titel wäre für den Prinzen eine hervorragende Währung gewesen. Bei der nächsten Titelverteidigung hätte er gegen sich selber gewettet und sich im Ring dann hingelegt. Und einen Haufen Geld verdient.

    Das Leben des Norbert Grupe war ein ständiger Kampf, daran lässt dieser Film keinen Zweifel. Und der gelernte Schlachter und Ex-Catcher aus Hamburg, der als "Prinz Wilhelm von Homburg" boxte, hat im Ganzen nicht oft gewonnen. "Er ist eigentlich nicht geliebt geworden", bemerkt ausgerechnet der gewalttätige Zuhälter Stefan Hentschel einmal inmitten eines wirren Wortflusses, während im Hintergrund eine Prostituierte an der Stange tanzt. Ganz zum Schluss von "Der Boxprinz" sieht man Norbert Gruppe bei einem schäbigen Casting in Hollywood, wo es ihm nicht gelingt, einen einfachen Text vom Blatt zu lesen. Ohne Rolle geht er schließlich nach Hause. Eine vom Leben besiegte Gestalt, der alles Kämpfen unter dem Strich nichts gebracht hat. Das zu zeigen, und trotzdem seine Hauptfigur keinen Moment lang zu verraten, ist Gerd Kroske in diesem exakten, bewegenden Film gelungen. (Susann Sitzler)


     
    Eckhard Dagge "Es sind schon viele Weltmeister Alkoholiker geworden ...
    Biographie von Wolfgang Weggen
    bombus Verlag, 2006.
    160 Seiten.
    19,90 Euro,
    ISBN-10:3-936261-64-4

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    IdS-Rezension

    Lange warten muss man nicht auf das legendäre Zitat. "Es sind schon viele Weltmeister Alkoholiker geworden. Aber ich bin der erste Alkoholiker, der Weltmeister wurde", so heißt die Biographie des deutschen Weltmeisters Eckhard Dagge schon im Titel. Vorgelegt wurde sie von dem Hamburger Sportjournalisten Wolfgang Weggen. Detailreich zeichnet Weggen darin Eckhard Dagges Lebensweg nach. Angefangen beim wilden, aber schüchternen Dorfhelden aus Probsteierhagen/ Schleswig-Hollstein, der schon mit 16 Jahren in drei Dorfkneipen Lokalverbot hatte und 1967 als Bundesgrenzschützer den Boxsport kennenlernte. Sein Talent fiel sofort auf und wurde gefördert. Als Amateur schlug Dagge Ende der Sechzigerjahre eine Schneise durch seine Gewichtsklasse, bevor er 1973 Profi wurde. 1976 besiegte er Elisha Obed im Super-Weltergewicht und wurde der zweite deutsche Weltmeister nach Max Schmeling. Die Medien wollten in dem großen blonden Sportler mit dem breiten Lachen einen neuen Helden für die Massen sehen, einen Nachfolger von Bubi Scholz. Aber Dagge verlor immer mehr Kämpfe gegen sich selbst und gegen seine Alkoholsucht. Irgendwann wohnte er auf St. Pauli, schlief am Tag und schindete sich nachts im Boxkeller der legendären "Ritze", während nebenan die Prostituierten zugange waren.

    >>> lesen Sie weiter in IdS Nr. 11 (PDF)
     
    Schmeling. 1905 - 2005.
    Die Karriere eines Jahrhundertdeutschen.

    von Martin Krauß.
    Verlag Die Werkstatt, Göttingen, 1. Auflage 2005, 264 Seiten, 18,90 Euro
    ISBN: 3895334723
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    Pressestimmen
     
    Pressestimmen
    "Krauß gelingt ein deutsches Panorama, das weit über Schmeling hinausweist: ein Lehrstück über Politik, Öffentlichkeit und Sport." (Neue Zürcher Zeitung, 20. März 2005)

    "Martin Krauß ist einer der fähigsten und klügsten Fachjournalisten des Landes. Für Schreiber wie ihn, die Sport nicht isoliert, sondern im historischen und gesellschaftlichen Kontext zu betrachten pflegen, ist Schmeling ein Musterbeispiel, ein Prototyp gewissermaßen." (Spiegel Online, 1. März 2005)

    "Mit seinem - wenn auch ungebügelten - Hemd und der Bundfaltenhose strahlt er eine ganz und gar unlinke Seriosität aus." (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 13. Juni 2004)